Wie Schmerzforscher von giftigen Meeresschnecken lernen


WIEN - Kegelschnecken setzen Gift zum Beutefangen und zur Abwehr von Feinden ein. Die vielfältigen Giftkombinationen der Meeresschnecken haben die Schmerzforschung revolutioniert und versprechen einen völlig neuen Zugang bei der Entwicklung von Schmerzmitteln.

Bisher kennt man über 10'000 sogenannte Conotoxin-Sequenzen, die von verschiedenen Arten von fleischfressenden Meeresschnecken der Gattung Conus produziert werden. Ein typisches Gift der rund 750 Arten umfassenden Gruppe enthält hundert bis tausend bioaktive Substanzen, welche über eine Art Harpune in die Beute injiziert werden. Diese können auch auf das menschliche Nervensystem wirken, was für die Forschung besonders interessant ist, da es sich hierbei um Rezeptoren handelt, die wichtig für die Schmerzreizleitung sind.

Seit rund 30 Jahren werden die Gifte analysiert. Ein Forschungsteam aus Österreich, Australien und Frankreich gibt nun in einem Artikel im Fachblatt "Chemical Reviews" Einblicke in die neuesten Entwicklungen und die aus Sicht der Schmerzforschung möglicherweise verheissungsvolle Zukunft. Denn die vielseitigen Giftstoffe "haben die Schmerzforschung revolutioniert" und auch in den Neurowissenschaften neue Wege eröffnet, so der Medizinchemiker Markus Muttenthaler von der Universität Wien im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA.

Keine Abhängigkeit

Im Gegensatz zu gängigen Opiaten, bei denen die Gefahr der Abhängigkeit besteht, wirken die Conotoxine nämlich völlig anders. Während Opiate die Schmerzwahrnehmung im Gehirn dämpfen, können gewisse Giftsubstanzen bereits im Rückenmark oder noch früher die Schmerzweiterleitung blockieren. Diese neue Wirkweise über die Ionenkanäle, also gewissermassen die Türen und Tore der Nervenzellen, verursacht keine Toleranzentwicklung und somit keine Abhängigkeit. Eine erste solche Substanz mit dem Handelsnamen Prialt ist bereits zugelassen.

"Vom perfekten Medikament sind wir aber noch weit entfernt", so Muttenthaler. Das Problem ist etwa, dass diese Peptidsubstanzen im Körper rasch abgebaut werden und man sie deshalb nicht in Tablettenform geben kann, sondern sie über eine implantierte Pumpe im Rückenmark injiziert werden müssen. Dementsprechend wird das Medikament nur bei chronischen Schmerzpatienten eingesetzt, die gegenüber Opiaten schon zu hohe Toleranz entwickelt haben.

In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren könnte es durchaus Conotoxin-basierte Medikamente geben, bei denen die Anwendung patientenfreundlicher sein wird und die bereits an den Spinalganglien ansetzen, die dem Rückenmark vorgelagert sind, so Muttenthaler.

Schmerzfrei durch Hemmstoff

Viel verspricht man sich etwa von der Hemmung eines bestimmten Natrium-Ionenkanals. Hier gibt es bereits dokumentierte Fälle von Menschen, denen die notwendigen Gene zur Bildung dieses Transportkanals ganz fehlen, "und die komplett schmerzfrei leben", so der Wissenschaftler. Momentan suchen daher sehr viele Experten nach Substanzen, die diesen Natrium-Ionenkanal blockieren.

Die Conotoxine sind aber auch vielversprechende Substanzen, mit denen die Mechanismen der Schmerzreizleitung aufgeklärt werden können. In dem Zusammenhang hat Muttenthaler kürzlich im Fachjournal "Australian Journal of Chemistry" einen Ansatz vorgestellt, mit dem die Conotoxine mit fluoreszierenden Markierungen ausstaffiert werden, um dann unter dem Hightech-Mikroskop die Ionenkanäle, an die sie binden, in Zellen sichtbar zu machen.

Notiz:

Fachartikellinks: https://doi.org/10.1021/acs.chemrev.9b00207 und https://www.publish.csiro.au/CH/justaccepted/CH19456

Quelle: SDA / Keystone - 04.11.2019, Copyrights Bilder: Adobe Stock

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